Die Schuldenbremse: Eine kleingeistige Debatte in einer Zeit großer Entscheidungen.
Ein Gastbeitrag von Jan Berger, Gründer des Think Tank Themis Foresight und wichtiger Berater für Unternehmen zu Energiewende, Klima-Transformation und Zukunft der Wirtschaft.
Die Diskussion um die Schuldenbremse ist erneut entbrannt. Befürworter mahnen an, dass Haushaltsdisziplin essenziell sei, um künftige Generationen nicht mit unverantwortlichen Schuldenbergen zu belasten. Gegner hingegen argumentieren, dass die Schuldenbremse notwendige Investitionen blockiere und damit die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft untergrabe. Doch diese Debatte – so emotional und grundlegend sie erscheinen mag – greift zu kurz.
Denn die eigentliche Frage ist nicht, ob wir Schulden aufnehmen oder nicht. Die zentrale Frage ist, zu welchem Zweck wir Schulden aufnehmen, wenn wir es tun. Schulden sind kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, um zentrale gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen anzugehen. Ob sie verantwortungsvoll sind, hängt davon ab, wie sie genutzt werden und welche Wirkung sie entfalten. Es geht darum, langfristige Ziele wie Sicherheit, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit zu sichern.
Amerika und China investieren nie dagewesene Summen in den Aufbau ihrer Industrien und die Entwicklung neuer Technologien, und in klein Deutschland diskutieren Gelehrte und Politiker, ob wir Schulden aufnehmen oder nicht?! So wird das nichts! Für die Verteidigung des Wohlstands aller in unserer Gesellschaft braucht es eine florierende Wirtschaft und europäische Sicherheit. Deshalb sollten die folgenden drei Bereiche im Fokus öffentlicher Investitionen und Zuschüsse stehen: Energieproduktion und Infrastruktur, Verteidigung und digitale Souveränität.
Energieproduktion und Infrastruktur: Die Basis wirtschaftlicher Resilienz
Energie ist das Rückgrat jeder modernen Wirtschaft. Doch Europa leidet unter hohen Energiepreisen, die nicht nur Haushalte belasten, sondern vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gefährden. Investitionen in eine nachhaltige und bezahlbare Energieversorgung sind daher unverzichtbar. Das Ziel des Ausbaus der Energieversorgung muss sein, binnen kürzester Zeit mindestens eine Halbierung der Energiepreise zu erreichen. Dazu gehören der Ausbau erneuerbarer Energien, die Modernisierung der Energieinfrastruktur und die Entwicklung neuer Speichertechnologien.
Ein robustes Energienetz würde nicht nur die Versorgungssicherheit erhöhen, sondern auch die Abhängigkeit von Energieimporten reduzieren. Dies ist sowohl eine Frage der Wirtschaftlichkeit als auch der geopolitischen Sicherheit. Wenn wir heute in Energieprojekte investieren, senken wir langfristig die Kosten für Unternehmen und schaffen die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum.
Verteidigung: Eine gesamteuropäische Aufgabe
Die Verteidigung Europas ist längst keine rein nationale Angelegenheit mehr. Angesichts geopolitischer Spannungen ist klar, dass eine effektive Verteidigung nur gemeinsam gelingen kann. Europa benötigt ein umfassendes Verteidigungsprogramm, das sowohl die Entwicklung eigener modernster Waffensysteme als auch den Aufbau einer europäischen Armee beinhaltet. In beides muss konsequent investiert werden, unterstützt durch eine klare „Europe first“-Agenda, die Europas Sicherheit und Unabhängigkeit in den Mittelpunkt stellt.
Daten- und Rechensouveränität: Digitale Unabhängigkeit sichern
In einer zunehmend digitalisierten Welt ist die Kontrolle über Daten und digitale Infrastrukturen ein zentraler Faktor für Souveränität. Derzeit dominieren wenige US-Technologiekonzerne den globalen Markt für Daten und Cloud-Dienste. Diese Abhängigkeit birgt immense Risiken, sowohl wirtschaftlich, finanziell als auch sicherheitspolitisch.
Europa braucht dringend eigene digitale Kapazitäten und eine florierende Digitalwirtschaft. Investitionen in Rechenzentren, Dateninfrastrukturen und künstliche Intelligenz sind dringend erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und Unabhängigkeit zu erreichen. Eine EU-weite Initiative für digitale Souveränität ist nicht nur sinnvoll, sondern essenziell, um den Anschluss an die globalen Technologiemächte zu halten.
Statt Schuldenbremse: Gemeinsame Schuldenaufnahme für Verteidigung, Energieversorgung und Datensouveränität!
Ein integrativer Ansatz für eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme könnte den Weg ebnen, zentrale Herausforderungen gleichzeitig zu bewältigen. Deutschland sollte nicht nur seine Blockade gegenüber Eurobonds aufgeben, sondern aktiv für eine Kapitalmarktunion eintreten, die Verteidigung, Energieversorgung und digitale Souveränität verbindet. Wie mein Institut Themis Foresight in einer Studie zur Zukunft des europäischen Kapitalmarkts darlegte, die Vorteile sind offensichtlich: Für alle drei Anliegen – Energie, Verteidigung und Digitalisierung – gibt es ausreichend Kapital im Markt, doch es fließt zu langsam, um die dringend erforderlichen Maßnahmen umzusetzen. Damit Kapital schnell in die Reduktion von Energiekosten und den Aufbau von digitalen und Verteidigungskapazitäten fließt, braucht es eine Kapitalmarktunion, einen gemeinsamen Energiemarkt und, ja, gegebenenfalls auch eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme.
Am Marshall-Plan ein Beispiel nehmen
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Staatsverschuldung der USA bei 113%. Diese wurde zwar schrittweise reduziert, doch nahm die US-Regierung erhebliche Staatsschulden auf, um den Marshall-Plan zu finanzieren. Sie entsprachen etwa 5 % des damaligen US-Bruttoinlandsprodukts – das entspricht dem 14-fachen des Schuldenlimits, das die deutsche Schuldenbremse heute vorgibt. Mit diesem Programm unterstützten die Vereinigten Staaten den Wiederaufbau Europas und legten die Grundlage für die wirtschaftliche Erholung des Kontinents. Diese Investitionen zahlten sich langfristig aus: Europa entwickelte sich zu einem stabilen Handelspartner, was wiederum der US-Wirtschaft zugutekam.
Europa könnte heute einen ähnlichen Ansatz verfolgen. Eine gezielte Aufnahme von Schulden für langfristige Investitionen in die Modernisierung der Wirtschaft – Energie, Verteidigung, Digitalisierung – bietet nicht nur die Aussicht auf eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung, sondern auch auf direkte finanzielle Rückflüsse. In dem Maße, wie diese Investitionen die Wirtschaft stärken, werden die Beträge mit Zinsen an die Staaten zurückfließen. Der Staat würde also nicht Schulden machen, sondern Gewinne erzielen.
Effizienz statt Verschwendung
Kritiker der Schuldenaufnahme führen jedoch völlig berechtigte Einwände ins Feld. So ist es wirtschaftlicher Unsinn, kurzfristige Konsumausgaben mit Schulden zu finanzieren, ineffiziente Subventionen ohne klare Ziele zu fördern oder Verwaltungsstrukturen auszubauen, die keine nachhaltigen Ergebnisse liefern. Digitale Technologien müssen die Verwaltung effizienter gestalten und halbieren. Die Kosten für ineffizienten Bürokratieaufbau können sofort eingespart werden. Sozialausgaben sollten gezielt so gestaltet werden, dass sie den größten gesellschaftlichen Nutzen bringen, ohne langfristige Zukunftsinvestitionen zu gefährden.
Zukunftsmut statt Klammern an Altem
Die wahre Verantwortung gegenüber kommenden Generationen besteht nicht darin, strikt an einer in die Tage gekommenen Regel wie der Schuldenbremse festzuhalten. Die Auswirkungen dieses Investitionsstopps auf das Verkümmern der Wirtschaft wurden im Draghi-Bericht ausreichend detailliert. Die wahre Verantwortung liegt darin, eine klare Vision für die Zukunft zu entwickeln und die notwendigen Mittel bereitzustellen, um diese zu erreichen. Schulden sind kein Problem, wenn sie klug eingesetzt werden. Das eigentliche Problem ist Untätigkeit, die durch falsche Debattengefördert wird.
Die Zukunft gehört denjenigen, die bereit sind, heute zu investieren. Investitionen in Energie, Verteidigung und Digitalisierung sind keine Kosten, sondern eine Versicherung für die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit Europas. Statt uns in Debatten zu verlieren, sollten wir den Mut haben, die Weichen für eine resiliente, innovative und nachhaltige Gesellschaft zu stellen.
Dieser Gastbeitrag ist von Jan Berger, Gründer des Think Tank Themis Foresight.
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